Selbstversuch: Können Produktstudios Full-Stack-Softwareentwickler ersetzen?

Hitabis_Skill_Day
Ein Erfahrungsbericht vom Hitabis SkillDay 2025

Wir sind ein Softwareentwicklerteam aus Berlin. Vor einigen Wochen kam ein Kunde auf uns zu und fragte uns halb scherzhaft, warum wir denn eigentlich noch so viel von Hand programmieren und unser Entwicklungsprozess so viel Zeit in Anspruch nimmt. Es gäbe doch so viele KI-Tools, die diese Arbeiten in wenigen Stunden erledigen könnten. Der Kunde ist bei uns generell für eine sehr verträumte Sichtweise auf KI-Tools bekannt, aber er hat uns mit seiner Frage trotzdem wachgerüttelt.

Entwickler-Assistenz-Tools, wie Copilot kommen bei uns natürlich schon lange zum Einsatz, aber dabei haben wir als Entwickler eher gemischte Gefühle. Teilweise erleichtern sie die Arbeit. An anderer Stelle schlagen sie vehement falsche oder unpraktikable Lösungen vor.

Um nicht schlechter Informiert zu sein als unser Kunde, haben uns daraufhin intensiv mit Produktstudios beschäftigt. Das sind moderne, oft KI-gestützte Plattformen, die versprechen, ganze Produktteams in der Softwareentwicklung zu ersetzen.

Doch wie realistisch ist dieses Versprechen? Im Rahmen eines Selbstversuchs wollten wir genau das herausfinden:

Können Produktstudios klassische Full-Stack-Entwickler ersetzen – oder wenigstens deutlich entlasten?

Was sind Produktstudios überhaupt?

Produktstudios orientieren sich am Konzept klassischer Design- oder Filmstudios – nur eben für digitale Produkte. Ob als Startup-Studio, Venture Studio oder digitales Innovationsstudio bezeichnet, ihr Ziel ist klar: Von der Idee zum funktionierenden Produkt in Rekordzeit.

Charakteristisch sind:

  • Schnelle MVP-Entwicklung

  • UX/UI-First-Ansatz

  • Nutzung von No-Code / Low-Code

  • Modulare Tech-Stacks

  • Out-of-the-box Deployment

  • Iterative, kollaborative Prozesse

Was ist möglich – und was nicht?

Im Rahmen des Selbstversuchs wurde die App „HitabisSkillDay“ mit einem klaren Funktionsumfang geplant:

  • Login/Registrierung

  • Zugriff auf News, Events, Mitglieder

  • Favoritenfunktion und Messenger

  • Eine Spezialfunktion namens „Hilferuf“, bei der Mitglieder Unterstützungsanfragen veröffentlichen können

Jetzt haben wir die Produktstudios angeleitet, diese App für uns umzusetzen. Wir wollten schauen, wie sie sich mit den Anweisungen herumschlagen und zu welchen Ergebnissen wir gemeinsam kommen können.

Genutzte Studios

Wir haben die aktuellen Platzhirsche in dem Bereich ausgewählt und ihre Werbeversprechen auf die Probe gestellt: Lovable, Bolt.new, Firebase Studio und Open Hands. 

lovable-dark-png
bolt_logo
firebase-studio_logo

lovable.dev

Lovable ist ein in Schweden gegründetes AI-Startup und bietet ein designzentriertes Produktstudio an, das mit hoher UI-Qualität und kohärenter Ästhetik digitale Produkte entwickelt – ganz nach dem Motto: „Wenn Apple ein Indie-Produktstudio wäre.“

Der Versuch startet mit einem kleinen Prompt.

Ich will eine PWA gebaut mit sveltekit, nutze Prisma mit Postgres als DB und orm. Die App heißt „HitabisSkillDay“ und das hier ist das Logo

Produktstudio_Softwareentwicklung_Lovable_Selbstversuch

OK. Lovable hat unsere Anweisung sveltekit zu nutzen erst mal ignoriert, hat aber zumindest eine gute Erklärung für die Alternativauswahl abgegeben. Damit können wir leben. Wir warten erst mal das Ergebnis ab.

Lovable_Produktstudio_im_Test

Das Ergebnis konnte sich sehen lassen – es entstand eine ansprechende Webseite, aber natürlich war der Informationsgehalt unseres Prompts viel zu gering. Hier kommt das allseits besprochene Prompt-Engineering ins Spiel: Ein LLMs muss immer so konkret, wie möglich angesprochen werden. Ein neuer Versuch sollte sollte dies richten.

OK. Die App soll mehr mobile Geräte geeignet sein. Soll eine iOS/Android PWA werden. Außerdem ist der Focus falsch. Ich benötige einen Login + Registrierung und die Seite nach dem Login soll so aussehen.

Es gibt erst mal folgende Funktionen:
* Von der Redaktion veraltete News-Beiträge diese beziehst du über die API von einer WordPress Instanz  https://externalblog.hitabis.de
* events sind Events, die auch in dieser WP-Instanz gepflegt werden https://externalblog.hitabis.de
* Man kann suchen über die news, events und Mitglieder
* Man kann Mitglieder zu persönlichen Favoriten hinzufügen
* Man kann Nachrichten zwischen Mitgliedern schreiben 
Lovable_Error

Nach einem kleinen Fehler, den lovable selber beheben konnte, sah das Ergebnis schon besser aus.

Lovable_Ergebnis

Leider viel als erstes die weiße Schrift auf weißem Grund auf. Der Login funktionierte leider ebenfalls nicht.

Lovable_Ergebnis_2
Lovable_Fehlermeldung

Trotz Erfolgsmeldung passierte leider nichts. Was aber daran lag, dass lovable keinerlei Logik implementiert hat. Ein Blick in den generierten Code zeigte, dass nur UI-Elemente erstellt waren. Lovable hat viel Liebe in das Design gesteckt, hatte aber gar keine Backend-Funktionalität umgesetzt. Die App selber konnte sich aber sehen lassen.

Lovable_Testergebnisse_2
Lovable_Testergebnisse

Die Umsetzung war wieder mit ansprechenden Design umgesetzt. aber leider wich das Design von dem vorherigen leicht ab. So ganz passte es nicht zusammen. Außerdem waren es wieder eher Mockups. Keinerlei Funktionalität wurde umgesetzt, obwohl im Prompt explizit darum gebeten wurde.

bolt.new

Bolt.new ist ein US-amerikanisches Produktstudio, entwickelt von StackBlitz (bekannt für WebContainers), das mit seiner Plattform ultraschnelle MVP-Entwicklung ermöglicht – mit dem Versprechen von launchfertigen Prototypen in nur wenigen Tagen.
Bolt bekam von uns die selbe Aufgabenstellung.

Immerhin hatte sich Bolt überreden lassen sveltekit zu nutzen. Dann ging die Generierung der Dateien auch schon los, aber Bolt scheiterte an der Umsetzung des Projekts.

Gerade die Kernkompetenz von StackBlitz – das Bereitstellen von Entwicklungsumgebungen – scheiterte immer wieder an dem Versuch die Abhängigkeiten zu installieren. Über mehrere Tage in mehreren Sessions kam es immer wieder zu diesem Fehler, den die KI selber nicht beheben konnte.

bolt.new_Produktionsstudio_Test

Lokaler Download und Zwischenergebnisse

Um den Versuch nicht sofort als gescheitert zu werten, wurden der generierte SourceCode heruntergeladen und die Abhängigkeiten installiert. Nach einigen Fehlern in den Abhängigkeiten und Imports, startete das Projekt. Allerdings war das Ergebnis mehr als ernüchternd.

Neben ein paar generierten Komponenten, sah man nur die Svelte-Landingpage.

bolt.new_Testergebnisse
blot.new_Test_Endergebnis

Firebase Studio

Mit Firebase Studio mischt ein großer Player in diesem Bereich mit: Google bietet hier eine leistungsstarke No-Code/Low-Code-Plattform, die besonders für schnelle Prototypen, Admin-Oberflächen und interne Tools geeignet ist – direkt angebunden an das bewährte Firebase-Ökosystem. Jeder kann selber entscheiden, ob letzteres eher Segen oder Fluch ist.

Firebase hatte einen klar definierten Plan.

Produktstudio_Firebase_Projektaufriss

aber zeigte sich unbeeindruckt von unseren Verbesserungsvorschlägen.

Produktstudio_Firebase_Test

Firebase war nicht zu überzeugen sich an unser Design anzupassen. Auch die Auswahl des Frameworks wurde trotz mehrmaligen Hinweis einfach ignoriert.

Nach der Generierung kam es erst mal zu einigen Fehlern – eigentlich schade, dass es zu so vielen Fehlern kommt, wenn doch sowieso ein Template abgearbeitet wird und unsere Hinweise ignoriert wurden. Wenigstens war Google in der Lage diese Fehler selber zu beheben. Das Ergebnis war alles andere als überzeugend.

Produktstudio_Firebase_Fehlermeldung
Produktstudio_Firebase_Funktionstest

Fazit

Produktstudios können viele Aspekte der Produktentwicklung massiv beschleunigen – insbesondere Design, Prototyping und Testing.

Ähnlich den Erfahrungen mit Copilot und Co entlasten sie den Entwickler und beschleunigen viele Teile der Entwicklung. Doch sie ersetzen keine Full-Stack-Entwicklung, vor allem bei komplexer Logik, Authentifizierung, Echtzeit-Kommunikation oder API-Sicherheit.

„UI/UX-Designer können mehr Angst vor Produktstudios haben – wir Entwickler bleiben noch etwas verschont.“

Die Präsentation von Produktideen wird gut unterstützt, wenn z.B. potentielle Investoren etwas “zum Anfassen” an die Hand bekommen. Für digitale Produkte eignet sich ein Modell in Form eines Prototypen. Für die Präsentation der Produktidee lassen sich Produktstudios sehr gut einsetzen, da sehr schnell vorzeigbare Ergebnisse erzeugt werden können, die einen guten Eindruck vermitteln. Die bisher zum großen Teil fehlende Backend-Anbindung spielt in dem Fall eine eher untergeordnete Rolle.

Die nachvollziehbare Kundenfrage kann also einfach beantwortet werden: Produktstudios sind ein guter Weg, um Klickdummies zu erstellen. Die vollmundigen Werbeversprechen der oben genannten Plattformen können aber nur zum Teil bestätigt werden. Selbst für den Umgang mit einem Produktstudio braucht es einen erfahrenen Entwickler.

Teilergebnisse, wie einzelne UI-Komponenten, können von den Produktstudios in die Entwicklung des Endprodukts einfließen. Die Komplexität von normalen Softwareprojekten können KIs bisher aber noch nicht erfassen. Bei den immer weiter wachsenden Context-Windows der LLMs könnte diese Hürde bald aber auch überwunden werden. Wir bleiben gespannt.